Heilpädagogisches
Reiten als Eingliederungshilfe für noch nicht eingeschultes Kind – OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom
04.11.2010 (Az.7 A10796/10)
Die im November 2002 geborene Klägerin begehrt die Bewilligung von
Eingliederungshilfe in Form heilpädagogischen Reitens. Bei ihr besteht ein
allgemeiner Entwicklungsrückstand um ein Drittel bis ein Halb ihres
Lebensalters mit leichter Intelligenzminderung und miterheblichen
Verhaltensstörungen. Ab Dezember 2005 besuchte sie einen Förderkindergarten, wo
sie auch logopädisch behandelt wurde. Zum Abbau ihrer Ängste und
Verhaltensauffälligkeiten sowie zur Steigerung ihrer Persönlichkeit,ihres Selbstvertrauens und ihrer
Frustrationstoleranz wurde in einer "Ärztlichen Bescheinigung"
heilpädagogisches Reiten für nötig befunden.
Aufgabe und Ziel sowie die Art der Leistungen der Eingliederungshilfe
richten sich gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII nach § 53 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1,
nach § 54 sowie nach §§ 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf
seelisch behinderte oder von einer solchen
Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Die Klägerin erfüllt die
Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII. Das SGB IX unterscheidet offenkundig
zwischen medizinischen Leistungen der Rehabilitation und hiervon nicht
umfassten heilpädagogischen Maßnahmen.
Im Falle der Klägerin handelt es sich bei dem in Rede stehenden
heilpädagogischen Reiten im Ergebnis nicht um eine Leistung der medizinischen
Rehabilitation im Sinne von § 26 SGB IX, sondern um eine Leistung zur Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft (soziale Rehabilitation) im Sinne von § 55 SGB IX.
Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen
zur sozialen Rehabilitation erfolgt nicht nach den in Betracht kommenden
Leistungsgegenständen; entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck. Im Falle
der Klägerin sollte das heilpädagogische Reiten ihr vorrangig den Zugang zur
Gesellschaft ermöglichen bzw. sichern und ist somit eine Maßnahme der sozialen
Rehabilitation. Damit bestehe ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten nach §
35a SGB VIII bis zur Einschulung.
Heilpädagogische Leistungen seitens des Gesetzgebers auf noch nicht
eingeschulte Kinder beschränkt – VG Trier Urteil vom 17.02.2011 (Az. 2 K
902/10.TR)
Soweit die Reittherapie als heilpädagogische Maßnahme, die dem Kind mit
Behinderung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen solle,
eingesetzt werde, bestehe ein Anspruch auf Kostenübernahme im Wege der
Eingliederungshilfe nur für Kinder, die noch nicht eingeschult seien. Aus der
Formulierung der einschlägigen gesetzlichen Vorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 2
SGB IX ergebe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber heilpädagogische Leistungen
zwar als mögliche Leistungen anerkenne, diese aber auf noch nicht eingeschulte
Kinder habe beschränken wollen, weil er offensichtlich davon ausgehe, dass
Kinder mit einer Behindreung, die eine ihrer
Behinderung entsprechende Schule besuchten, dort in dem erforderlichen Maß auch
heilpädagogisch betreut würden.
©Rechtsanwältin Franziska Benthien
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